Reach = Reichweite = wahnsinnig viele Augen, die ein Medium wie die ARD wahrnehmen. Die deutsche Blogosphäre wird häufig oder sagen wir lieber immer auch danach bewertet, dass sie „keinen Reach“ habe. Negierende Beispiele wie „wenn ich Kuntze auf der Straße nach basic thinking frage, kennt der das Blog doch sowieso nicht“ sind Alltag. Aber in den USA sei alles anders, da sind die Blogs gaanz groß, haben ne mega Reichweite. Angeblich. Ja, welche denn? Wie viele? 1%? Gelogen. Es sind nicht einmal 1/1000stel.
Ich finds immer wieder faszinierend, wie man vom Kleinen aufs Große schließt. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie viele Blogs es in den USA gibt, die zudem auch noch aktiv und keine Spamblogs sind. Ich weiß jedoch nur, dass es extrem wenig Ausnahmen gibt, wo man Blogs mit Reichweite im Sinne von Großmuffti-Denken gleichsetzen kann. Spontan fallen mir das Pseudo-Blog Huffington Post und Techcrunch ein. 99,99% aller Blogger in den USA sind ebenso wenig Repräsentanten von Reichweiten wie hier zu Lande.
Woher kommt aber der merkwürdige Blick nach „drüben da ist alles größer“? Pressemenschen brauchen Salesstories. Man kann schlecht über den Blogger um die Ecke schreiben, den 10 Menschen tagtäglich lesen. Das ist keine Story. Eine Story ist aber die VIP-Tante Huffington, eine Story ist der Arrington, eine Story sind Blogger „wert“, die so viel Asche mit ihrem Blog scheffeln, dass man als Durchschnittsverdiener sagen kann „boah“. Nur weil man sich auf diese wenigen Ausnahme-Blogs stürzt, ist eine nationale Blogosphäre nicht weniger „wert“ als die andere. Reichweite ist ein Märchen. Reichweite ist das, wovon Chefredakteure feuchte Höschen bekommen. In Mustern wie Reichweite denken die, die davon leben müssen, auf Gedeih und Verderb.
Auf der anderen Seite vergisst man nur zu schnell, was Reichweite im Grunde genommen bedeutet: Du wirst als Blogger mit 10.000.000 Lesern (na, feuchtes Höschen?) möglicherweise Asche machen. Schön. Zugleich wirst Du von Firmen zu allen möglichen Events gepimpt. Schön? Zugleich zitieren Dich die Medien, stell Dir vor, Dein Name prangt im Heute Journal! Schön? Mag ja alles sein. Aber Du wirst unweigerlich eine Menge zu verlieren haben. Das scheint Wenigen klar zu sein. Jede Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Du wirst im Handumdrehen zig deftige Kommentare bekommen. Du wirst am Telefon belästigt. Du wirst nicht mehr wissen, mit dem Du Dich noch unterhälst, weil alles zu einer groben Masse verschwimmt. Du wirst schreiben müssen, Du wirst womöglich Angestellte haben, die Kommentare moderieren, den Server pflegen, Werbung verkaufen, einen Gruppenleiter haben, der Urlaubspläne erstellt. Du wirst zum Unternehmer. Es kann verdammt gut sein, dass Du auf sowas nicht mal bisserl Lust hast. Statt 8 Stunden zu bloggen wirst Du 80 Stunden mit Deinem Blog verbringen, pro Woche. Du wirst Chefredakteur, Kopfhinhalter, Gestresster und Contentschlampe zugleich sein. Du wirst Leser, Kunden, Blogger, Mitarbeiter zugleich bedienen müssen. Und, Du wirst Verantwortung tragen, die umso schwerer wiegt, je mehr Menschen Du erreichst. Ein falsches Wort wie die BILD und Du machst einen Menschen todunglücklich. Wenn Dir das alles egal ist, Du das alles toll findest, dann das ist Denken in Reichweiten genau das Richtige. Aber für die meisten ist das ein Schreckensszenario.
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Und es gibt einen dritten Punkt: Obwohl man die Effekte aus der Wikipedia, Flickr und vielen anderen Beispielen kennt, verweist man gerne darauf, dass es unabhängig der Reichweite ach so wenige Blogs in D gibt. Ganz so, als könne ein System nur dann zum Leben erweckt werden, wenn mind. 50% der Leser der Wikipedia zugleich Autoren sind. Oder eben mind. 50% der Onliner auch ein Blog betreiben müssten, damit irgendein Fuzzi sagen kann „ich segne die Wichtigkeit und Bedeutung von Blogs [ersetze durch andere Möglichkeiten] ab“. Komischerweise reichen gerade mal rund 1% aus, damit ein System zum Laufen kommt.
Zusammengefasst: Es ist nicht nur das Denken und Vordefinieren in Reichweiten, die der klassischen Presse zu eigen ist und den Blick verfälscht. Es ist auch der Blogger selbst, der sich mit Reichweite keinen Gefallen tun wird. Dieses Denken in Extrema, und das Denken in Reichweite ist eins, verfälscht den Blick. Es ging und geht nicht um die Monetarisierung von abstrusen Reichweitendimensionen, die klassische Medien überleben lassen. Blogger sind mehr „wert“ als alle Zeitungen und TV-Anstalten dieser Welt. Sie müssen sich nicht mal ansatzweise daran messen lassen, ob sie mediale Reichweite besitzen, denn sie müssen nichts „verdienen“. Blogs als vernetzte Systeme unterliegen nicht den Gesetzmäßigkeiten und Strukturen von Medienunternehmen, so dass es barer Nonsens ist, die gleichen Maßstäbe und Benchmarks anzulegen. Sie -die Blogs- zeigen auf, dass eine Vernetzung der Gesellschaft unaufhaltsam ist. Das ist groß, viel größer als die beschränkte Denke eines Journalisten, der nach einer Salesstory für seinen Leser sucht. Das Vernetzen kann man großartig finden, das muss man nicht großartig finden, da wir die sozialen Auswirkungen nicht absehen können. Niemand kann vorhersagen, was das Nebeneinander und Miteinander von unzähligen Mikrogalaxien bewirken wird. Und das betrifft nicht nur Blogs, sondern auch Foren und Social Networks. Wie misst man so etwas? Hat jemand dafür Benchmarks und Messgrößen iA?
So kommen wir zurück zu den gewählten Beispielen der Presse, dass es in den USA mit den Blog so toll läuft und sich immer wieder mit herkömmlichen Messgrößen behilft. Ein Techrunch oder eine Huffington Post zeigen lediglich auf, dass man auch im Netz ein Business aufziehen kann. Das ist aber völlig langweilig ob dem gesamten Vernetzungstrend. Stinklangweiliges Business im Vergleich zu dem, was eigentlich da draußen passiert. Nur, auf diese „Non-Blogs“ muss man eben zurückgreifen, weil man andere Erklärunsansätze nicht hat und auch nicht vermitteln kann. Und Money ist eins der unwichtigsten Betrachtungsobjekte schlechthin. Doch zugleich wird das ökonomische Element immer wieder betont, dessen Messfaktor Reichweite auf der X-Achse ist. Ist sich bisserl kurz gedacht, würde ich sagen:) Obwohl die Logik falsch angesetzt ist, Blogs mit ökomischen Maßstäben zu „messen“, reitet man drauf herum. Ist ja auch schwer verdaulich für einen FAZ-Journalisten oder PR-Menschen, der wieder mal seinen Kunden erklären muss, dass es in D ach so behäbig läuft und man nicht weiß, obs unwichtig oder wichtig ist, ökonomisch gedacht. Soll der was über soziologische Auswirkungen erzählen? Als PRler? Als Pressemensch in einem leicht verdaulichen Artikel? Wer liest schon das Feuilleton, in der BILD? No way. Klar, es ist eben kein ökonomisches Phänomen. War es nie, wenn Menschen zusammentreffen.