anlässlich des Barcamps in Hamburg gibt es auch einige Reviews, die darauf hinweisen, dass die Sessions zu sehr Startup-lastig gewesen wären bzw. zu sehr das Thema Monetarisieren/Erfolg mit Websites im Vordergrund stand. Siehe Diskussionen:
Barcamp Hamburg: Abschied der Avantgarde? (Werbeblogger)
BarCamp – back to the roots (franztoo)
Barcamp und Kommerz (Verwandt-Blog)
Avantgarde: Die richtige Mischung aus Beginners und Followers (Sprechblase)
Rein statistisch gesehen reicht ein Blick auf die Sessionliste Tag 1, um zu sehen, dass sich ein Teil selbstverständlich um diesen Themenkomplex gedreht hat, wenn auch für meinen Geschmack ein viel zu geringer Anteil. Immerhin wacht das deutsche Internet langsam aber sicher aus seinem Dornröschenschlaf auf und führt zu einer Ergänzung so dröger Seiten wie eBay, alles vereinnahmenden E-Commerce Anbietern wie Amazon, etablierter Suchmaschinen wie Google, klassischer Kommunikationsplätze wie Foren und einem Haufen statischer 08/15 Websites. Und es ist schön zu sehen, dass sich das auch auf dem Barcamp widergespiegelt hat.
Letztlich ist es aber ziemlich müßig, über hätte, wenn und abers zu spekulieren. Barcamp heißt für mich mitmachen, sich selbst einbringen, wenn man denkt, irgendwas beitragen zu können, damit die Teilnehmer was mitnehmen können. Und sich wenig Kopp darum zu machen, obs dann saugeil oder saulangweilig werden könnte, was man vorträgt oder moderiert. Die Leute sind erwachsen, haben einen Mund zum reden und einen Kopf zum Mitdenken. Jeder. Wer die Gosch hält und nix beiträgt, vor, während und nach einer Session, ebenso vor, während und nach dem Barcamp fürs nächste Barcamp, muss sich nicht beklagen, schlecht berieselt worden zu sein. Jede, ausnahmslos jede Session lebt durch die Anwesenden. Zu Hause kann man sich vom Fernseher zudröhnen lassen. Nicht auf einem Barcamp.
Also, was kann man selber tun, damit das Barcamp rockt? Eigentlich ganz einfach:
– Barcamp Veteranen sorgen dafür, dass sich Newbies einbringen. Regen eine Session an, schnappen sich persönlich, per Mail oder per Blog mögliche Gurus. Was könnte Thema sein, wie könnte die Session aussehen, was sollte drin sein, was nicht. Häufig haben Neulinge keine Vorstellung, sind konferenz-verseucht und trauen sich nicht. Weil es nicht in der Natur eines jeden Menschen ist, vor anderen zu stehen. Weil es nicht Usus ist, sich auf Konferenzen einzubringen, sondern Cash zu zahlen und sich informieren zu lassen. Das kann man im Vorfeld und während einem Barcamp aber aufklären. Im persönlichen Miteinander. Konkret:
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– Nicht „man könnte doch“, sondern „ich könnte“, „wir könnten“ oder „Du könntest“!
– Verbinden! Wenn Du eine Session nicht alleine halten magst, schnapp Dir einen und machs gemeinsam. Das kann man auch mit Dritten. So habe ich mir erlaubt, Felix Ahlers/Frosta anzusprechen, ob er seine Blogsession zusammen mit Kirstin/Saftblog halten könnte. Hat auch geklappt und Kirstin ist eine ganz wunderbare Vortragende, die was zu sagen hat. Alleine hätte sie das nicht gemacht.
– Schnappen: hätte auch alleine was zum Thema „besser bloggen“ labern können, stattdessen hab ich mir Martin Hiegl geschnappt und ihn gebeten, mit mir zusammen diese Session zu halten.
– Organisieren: ich habe keinen blassen Schimmer von Silverlight. Also habe ich auf meinem Blog im Vorfeld gefragt und siehe da, Carlo hat die Silverlight-Session und noch mehr gemacht. Cool!
– Selbst den Hintern bewegen: nicht aufs Barcamp warten, wie es wohl sein könnte. Lesen. Wenn im Wiki steht, MITMACHEN, dann heißt das nicht Nixmachen. Es heißt MITmachen;) Mit und Machen! Coder wollen mehr Codiges? Bitteschön. Ruby ist geil? Was ist denn geil? Warum ist Ruby lahm und C besser? Go on! Eclipse ist kein gutes Framework? Was denn stattdessen? Designer wollen mehr Designiges? Bitteschön. Runde Ecken sind scheiße, eckige Ecken besser? Ok, schmeiß das Notebook an und fang an zu malen. Malen kannst Du doch? Mund zum Reden auch? Was fehlt denn noch?
– Du bist Startup? Ok, dann erzähl mir, was Du für einen dicken Bockmist gebaut hast, was Du gelernt hast, warum Du etwas geändert hast. Ich brauche nicht Deine Präsentation, wieviel User Du hast, ich will nicht wissen, wie smartassed Du bist, mich interessiert es null, wie toll das alles ist, ohne zu verstehen, warum die User dich knutschen. Mich interessiert nur, was warum wie geht und was nicht. Wenn Du der Meinung bist, dass Du Deine super duper Geheimnisse nicht ausplaudern magst, mach die Session gar nicht erst auf, schnapp Dir Deine Businesspläne und schau bei den Investiorenrunden vorbei, in der Hoffnung, dass die das hören wollen. Am besten fragst Du Dich selbst, ob Du Deinem eigenen Vortrag lauschen würdest. Klappt gut;)
– Aha-Effekt: oftmals bekomme ich mit, dass manche Teilnehmer eines Barcamps nichts Spannendes finden konnten für sich. Es mag durchaus sein, dass ein Schneckenzüchter auf einem Barcamp-Treffen wenig Erhellendes finden wird. Es mag aber auch sein, dass der Aha-Effekt sich nicht sogleich einstellt, sondern erst viel später. Es sind doch nur häufig Gedankengänge, Einblicke, flüchtige Erfahrungstransfers aus Dialogen/Sessions. So haben wir uns auf der Rückfahrt mächtig den Kopp um die Frage gemacht, warum sich andere den Kopp um Second Life im Sinne von Gesetzen machen, statt von AGBs zu reden. Was, wenn SL irgendwann ein eigener Staat mit eigenen Gesetzen wird, die nicht mal RL Gerichte umstoßen können? Was, wenn sich tatsächlich Rechtstheoretiker der Sache annehmen (es passiert bereits)? Warum, weshalb, wieso, was kommt, was passiert da. Wieso ist SL was anderes als eBay, da spricht doch man doch auch nicht von Steuern und Gesetzen, obwohl eBay ungleich größer als SL ist? Das war saugeil. Die Session ob der Zukunft des 3D-Webs war nur der Auslöser. Die Nachfolgesession im Auto hat mich weitergebracht. Was ich mit diesen Erfahrungen und dem Wissen um bestimmte Zusammenhänge anstellen werde? Keine Ahnung. Kommt Zeit kommt Rat.
Ich möchte hier nicht dick auftragen, sondern nur daran erinnern, dass Mitmachen keine Worthülse ist. Auf dem Barcamp in Hamburg waren einige Dickschiffe vertreten, die mich und viele andere, die was mit dem Web zu tun haben, mal ganz locker in die Tasche stecken. Du wirst selten eine Gelegenheit finden, mehr helle Köpfe an einem Fleck versammelt zu finden als irgendwo anders. Beispiel? Tom Alby von Ask.com, der auch mit dabei war, hat mehr Ahnung von Sprache, Computer Linguistik aber auch von Suchmaschinen, als alle Teilnehmer von einem Barcamp zusammen. Man muss schon beknackt sein, sich nicht mit so einem Crack auszutauschen. Dazu muss man nur auf die Leute zugehen. Keiner hat eine Pistole dabei;) Wenn Du dieses Wissen und deren Erfahrungen nicht anzapfen möchtest, selber schuld. Ebenso ist es ziemlich dämlich, sich selbst in eine Ecke zu stellen und sein Wissen vermodern zu lassen. Barcamps weisen im Gegensatz zu den Standardkonferenzen ein wesentlich höheres Interaktions- und Aktionsniveau auf. Und im Gegensatz zu den ach so tollen Web-Konferenzen (Reboot, Le Web, etcpp), wo die ach so erfolgreichen, aber häufig völlig ahnunglosen Top-Millionäre (ich nenn sie gerne Hans im Glück) der in Ehrfurcht erstarrten Menge vorblubbern, darf sich beim Barcamp auch ein mittelloser, dafür aber hundert mal smarterer Experte einbringen. Und ich erwarte nicht, dass ein solcher Experte wie eine hochprofessionelle Rampensau vom Kaliber eines Steve Jobs seine IT-Lebensweisheiten vom Stapel lässt.
Aaalso, die von Patrick heraufbeschworene Avantgarde kann sich gerne darüber unterhalten, ob in Zukunft die Hummel eckige Flügel haben wird. Er muss auch nicht auf weiteren Barcamps erscheinen, weil es keine Hummeln mit eckigen Flügeln geben wird. Ich fände es verdammt schade, wenn er bzw. man prinzipiell Barcamps negiert, weil man keine eckigen Hummelflügel zu finden meint. Ich habe eine Brille mit vielen Dioptrien und bin trotzdem überall fündig geworden. Mich interessieren fliegende Hummeln, die sich keinen Kopp um ihre runden oder eckigen Flügel machen.
Abgedroschene Message zum Schluss: Du bist Barcamp:)