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Lebensmittelklarheit? Eher ein Tropfen auf den heißen Stein

Seit gestern sollte Klarheit herrschen, aber dann kam alles anders. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) das Wissensportal Lebensmittelklarheit.de gestartet. Der Anspruch: „[Das Portal] informiert Verbraucherinnen und Verbraucher kompakt und verständlich über rechtliche Regelungen zur Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln“, heißt es vom Ministerium dazu. Was gut und fair klingt: „Sie können Produkte nennen, von denen sie sich getäuscht fühlen.“ Die Verbraucherzentralen sollen dann aus ihrer Sicht bewerten, ob tatsächlich eine Täuschung vorliegt, und wenn dem so sei, könnte das betreffende Unternehmen dazu Stellung nehmen.

Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus: Lebensmittelklarheit.de ist ein besseres Informationsportal geworden – und ging praktisch im Moment des Starts gestern unter dem hohen Besucheransturm in die Knie. Und dort kauerte man 24 Stunden später immer noch. Inzwischen hat sich die Seite etwas erholt. Die Verbraucherzentralen wollen zusätzliche Server anmieten. Den Ansturm hat man also maßlos unterschätzt, wofür sich das Ministerium entschuldigte. War die Nachfrage wirklich so hoch oder könnte es auch damit zu tun haben, dass das Portal mit vergleichsweise schmächtigen 750.000 Euro Finanzierung die Kosten gering halten muss? Die Überlastung dürfte auf jeden Fall ein Zeichen dafür sein, dass Bedarf zur Klarheit besteht: Analogkäse, Klebefleisch, Wegfall verbindlicher Mengenvorgaben, die Diskussion um die Lebensmittelampel, die auf Druck der Industrie vorerst nicht eingeführt wird. All das kommt nicht von ungefähr und da ist Lebensmittelklarheit.de nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Sägespäne im Erdbeerjoghurt bleibt legal

Es gibt ihn tatsächlich, den von der Industrie gefürchteten Pranger. Und er ist das Schmuckstück des neuen Webangebots. Hier wird moderiert, bevor konstruktiv kritisiert wird. In diesem Beispiel etwa geht um den Bestandteil Hefe-Extrakt. Ein Verbraucher moniert, dass in einem Instant-Salatdressing der Extrakt enthalten sei, obwohl vorne auf der Packung steht, es handele sich um ein Produkt ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe. Die Verbraucherzentrale, zahm wie ein Lämmlein, weist darauf hin, dass sie das ebenfalls nicht so richtig gut findet. Abschließend kommt der Hersteller zu Wort, der sich um die eigentliche Frage geschickt herumdrückt und rechtfertigt. Thema beendet.

Es mag daran liegen, dass ich heute schlecht gelaunt bin, aber bitte, das reicht doch nicht! So sorgt man vielleicht für etwas mehr Aufmerksamkeit, aber damit ändert man nichts. Das Problem ist, dass es weiterhin legal ist, Sägespäne als natürliche Zutat für Fruchtjoghurt zu verwenden oder Analogkäse auf die Tiefkühlpizza zu streuen. Die Politik sollte dem einen Riegel vorschieben und damit den Schwelbrand gar nicht erst entstehen lassen, den sie jetzt mit der Wasserpistole zu löschen versucht. So ist Lebensmittelklarheit das Produkt dessen, was man so oft in der Politik ertragen muss: ein fauler Kompromiss, nicht Fisch und nicht Klebefleisch. Und das funktioniert im Web nicht, das Dinge selbst in die Hand nehmen muss: Gut, dass es Foodwatch, die Lebensmittelampel und Barcoo gibt.

(Jürgen Vielmeier)

Über den Autor

Jürgen Vielmeier

Jürgen Vielmeier ist Journalist und Blogger seit 2001. Er lebt in Bonn, liebt das Rheinland und hat von 2010 bis 2012 über 1.500 Artikel auf BASIC thinking geschrieben.

17 Kommentare

  • Lebensmittelklarheit.de ist ein Witz – Und nicht nur da stime ich zu! Langsam sollte die Regierung wirklich mal Butter bei die Fische machen und den Wahnsinn mit Spänen und vor allem Analogkäse oder -Schinken beenden!

  • „Die Verbraucherzentrale, zahm wie ein Lämmlein, weist darauf hin, dass sie das ebenfalls nicht so richtig gut findet.“ – ich glaube dieses Zitat sagt schon alles. Aber es ist schon interessant mal zu stöbern, was es alles für kuriose Verbraucherbeschwerden gibt und vorallem was dann die Stellungsnahme unserer Verbraucherzentrale ist.
    Lustiges Beispiel: Alkohol in der Sprühsahne: http://cdn.lebensmittelklarheit.de/cps/rde/xchg/lebensmittelklarheit/hs.xsl/1851.htm

  • das ist aber ein Hoax mit den Sägespänen. Die Aromastoffe werden von Bakterien/Pilzen erzeugt, die auf Sägespänen kultiviert werden. Die Späne selbst kommen nicht in den Jogu.

  • Das Widerliche ist v.a. die Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie frei nach dem Motto „die Gesetze [die wir mit reichlich Geld und Einfluss ganz nach unserem Geschmack hingebogen haben] sind ebenso so und erlauben dies, also basta!“.

    In anderen Branchen würde man bei derart dreister Täuschung längst rechtliche Probleme haben. Gerade im sensiblen Lebensmittelbereich scheinen aber andere Regelungen zu gelten. Besonders toll z.B. für Leute mit Allergien für bestimmte Zusatzstoffe o.ä., bei denen derartige Täuschungen mehr als nur Nebenwirkungen verursachen können.

  • @Kai: Wenn man es ganz genau nimmt, dann ja. Klingt aber auch nicht wirklich besser, oder? 😉

  • Naja, die Industrie stellt her, was gekauft wird.

    Bei Lebensmittelpreisen ist D-Land europaweit wohl am günstigsten unterwegs. Und wer sich am Wochenende die 0,99€ TK-Pizza reinpfeift, darf keinen Mozzarella und luftgetrocknete Edelsalami erwarten. 😉

    Was allerdings wirklich übel ist: Diese ganze Kinder-Gesundheitswerbung für Produkte, die hauptsächlich aus Fett, Zucker und Geschmacksverstärkern besteht.

    Verbunden mit FastFood endet das bekanntermaßen so: http://www.youtube.com/watch?v=BI1Z0a_a_Vw

  • Der mündige Verbraucher weiß selbst, was für ihn gut ist. Er informiert sich und entscheidet dann eigenverantwortlich, was er kauft und was nicht.

    Wer hingegen wirklich glaubt, dass für einen Erdbeerjoghurt für 19 Cent eine Handvoll erntefrischer Beeren verarbeitet wird, den wird auch diese Kindergarten-Seite nicht mehr retten.

    Weshalb Analogmilch (Milch aus pflanzlichem Fett (Soja)) als besonders gesund und hipp gilt, Käse aus pflanzlichem Fett dagegen als Katastrophe, habe ich bisher auch nicht verstanden.

    Schon witzig, wenn foodwatch jetzt doch tatsächlich herausgefunden hat, dass die Milchschnitte Fett enthält! Wer hätte das gedacht? Das eigene Fehlverhalten bzw. Übergewicht lässt sich eben leichter ertragen, wenn man sich als unschuldiges Opfer einer übermächtigen Lebensmittelindustrie begreift…

    Infantiles Deutschland!

  • ich schliess mich dem Kommentar von uniquolol an:)

    von wegen Lebensmittel-Klarheit… ich denke man weiss nicht wirklich was wo drin ist, und ob dar drin ist , was auf dem Produkt steht:)

    Und wie schon erwähnt, jeder kauft oder verzehrt das, was ihm schmeckt….wenn man sich noch mit den Kleinigkeiten befassen würde, dann würde man garnix mehr kaufen;)

  • @uniquolol @Silvy: „Der mündige Verbraucher weiß selbst, was für ihn gut ist. Er informiert sich und entscheidet dann eigenverantwortlich, was er kauft und was nicht.“

    Alles schön und gut, aber ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass die große Masse da draußen dazu in der Lage ist. Die Industrie versucht mit allen Tricks uns zu vera*** und die bildungsfernen Schichten (und nicht nur die) fallen natürlich darauf herein. Wobei ich dir Recht gebe, dass das ein Henne-Ei-Problem ist.

    Schöner Anstoß das mit der Analogmilch! Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. 😉

  • Ach menno, ich find die Seite echt klasse und hab schon viel Neues entdeckt. Es mag sicherlich Konsumenten geben, die sich einfach gesagt vera*** lassen wollen aber ich interessiere mich nun mal wirklich für die Details und finde eine Seite auf der alles mal gebündelt wird sehr praktisch. Ich bin sicherlich nicht der Einzige und die anderen dürfen von mir aus gern weiter Analogkäse kauen. Und mal ehrlich, so einen legalen „Pranger“ für die schwarzen Schafe, eine feine Sache!

  • @vielmeier:
    „…Alles schön und gut, aber ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass die große Masse da draußen dazu in der Lage ist…“

    Ich dachte bisher immer, „…die große Masse da draußen…“, das wären die mündigen Bürger, die Basis unserer Demokratie. Diese Masse soll neuerdings sogar problemlos in der Lage sein, über die Architektur von Großbauprojekten (S21, Stromtrassen, Windparks etc.) kompetent und basisdemokratisch entscheiden zu können. Unter solchen Voraussetzungen sollte es dann doch auch mit dem Erdbeerjoghurt klappen…

    Man muss sich eben entscheiden: Entweder selbstverantwortlicher Bürger oder sozialistischer Untertan. In einem freien Land kann nicht jedes Detail vom Staat geregelt werden…

  • @uniquolol: Kannst mich Jürgen nennen. Tja, das ist eben die Frage: Wie gebildet ist der Mob da draußen wirklich? Manchmal bin ich positiv überrascht und dann denke ich wieder genau das Gegenteil. Ich finde allerdings, dass der Staat nicht alles auf die Bürger abwälzen muss, was sich auch anders in Gesetzen regeln ließen. Wenn jeder Markt liberalisiert wird, dann müssen wir uns irgendwann nur noch damit beschäftigen, dass uns niemand gefährliche Medikamente aushändigt. Kann man dann ja auch argumentieren: Ein aufgeklärter Bürger lässt sich kein Gift aushändigen. 😉 Ist ein bisschen überspitzt, gebe ich zu, aber darauf läuft es doch hinaus…

  • Lebensmittelklarheit.de ist ein schlechter Scherz. Es werden zur Zeit gerade mal 10 Produkte an den „Pranger“ gestellt. 10!

  • Das Portal ist doch nur eine Alibifunktion der derzeitigen Bundesregierung, um von echten Problemen abzulenken. Da regt sich jemand darüber auf, dass das „Sylter Salatfrische Topping“ nicht auf Sylt produziert wird. Schmeckt es deshalb weniger gut? Nein. Steht doch genau drauf auf der Verpackung, dass es aus der Nähe von Hamburg kommt.
    Über die echten Aufreger: Analogmilch, Analogkäse Klebefleisch usw hab ich da nix gelesen.

  • Das „Dany Sahne dunkle Schokolade“ nur 1,6% Kakao enthält, hätte ich auch nicht gedacht. Das dann noch dreist „Enthält Schokolade mit 70% Kakao“ draufsteht, finde ich schon sehr frech. Als Dunkelschokoladen-Käufer greife ich nämlich gerne zu den Packungen „mit 70% Kakao“.

    Das Portal hilft nicht unbedingt so sehr bei der Auswahl der richtigen Lebensmittel im Supermarkt, aber es verstärkt doch ganz klar das Bewußtsein für (falsch) werbende Formulierungen.