Als ich im Wintersemester 2001 an der Universität Jena meine ersten holprigen Orientierungsversuche unternahm, hatten Notebooks in Seminarräumen, Bibliotheken und Hörsälen noch echten Seltenheitswert. Kaum einer meiner Kommilitonen tippte seine Notizen in einen mobilen Computer – und wer es tat, rückte sich damit zielsicher in die Nerd- oder Angeberecke. Seminarvorträge wurden mit – ja das war vor zehn Jahren noch Standard – Folien und klassischen Projektoren gehalten. Da eine Folienkopie a) im Vergleich nicht gerade billig war und b) das Wechseln der labbrigen Plastikscheiben so manchen Referenten in seiner Sprache-Hand-Augen-Koordination ziemlich beanspruchte, hielten sich die meisten Seminarteilnehmer an die goldenen Regeln guter Referate und setzten das visuelle Mittel der Folie nur äußerst sparsam ein.
Kaum fünf Jahre später war alles anders. Fast jeder hatte sich im Discounter seiner Wahl mit einem günstigen Laptop versorgt und setzte ab sofort auf die Wunder der digitalen Präsentation – oft zum Leidwesen der übrigen Anwesenden. Was es da alles zu sehen gab, braucht sich in der Retrospektive nicht hinter Geschmacksentgleisungen wie Schulterpolstern, den (leider!) in der Renaissance befindlichen VoKuHiLa-Frisuren und dem ersten Ford Ka zu verstecken. Bei mindestens einem Vortrag im Semester hieß fortan die Devise: Wenn PowerPoint es kann, dann muss es auch verwendet werden.
Gnade gab es selten. Alle sollten schließlich sehen, dass man das letzte aus dem Microsoft-Tool herausgeholt hat. Ob Hintergründe und Texte in knalligen Farben, die unzähligen Wie-kann-ich-den-Inhalt-am-ungewöhnlichsten-auf-die-aktuelle-Folie-fliegen-lassen-Effekte (gern auch mit Ton) oder blinkende und zur Sicherheit noch fett, kursiv sowie mit doppeltem Unterstrich auch für den Brennglasträger in der letzten Reihe ausreichend hervorgehobene Überschriften – neben der gebotenen Vielfalt konnten die eigentlichen Inhalte fast schon vernachlässigt werden und wurden es dann mitunter auch. Fast ebenso schlimm waren nur Mitstudierende, deren PowerPoint-Folien den kompletten Vortrag zur Sicherheit noch einmal als 1:1-Abschrift in Schriftgröße 16 auf gefühlten 140 Folien enthielten, die im 30-Sekunden-Takt durchgeklickt wurden oder diejenigen, deren Souveränität durch hilflose Klickorgien beim Suchen des gerade benötigten Stichpunktes arge Kratzer bekam.
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Mittlerweile gehört PowerPoint und alle damit verbundenen Übel aber nicht mehr nur in Uni und Wirtschaft zum Standard, sondern darf selbst bei Silberhochzeiten und dem 80. Geburtstag von Opa nicht mehr fehlen. Kein Wunder, dass sich nun Widerstand regt – zwar nicht in Deutschland, aber in der Schweiz. Dort gibt es seit kurzem die erste „Anti-PowerPoint-Partei“ (APPP), die sich dem Kampf gegen den „PowerPoint-Zwang“ verschrieben hat. Im Parteiprogramm heißt es:
Wir wollen, dass die Anzahl der langweiligen PowerPoint-Präsentationen auf der Erde abnimmt und der Durchschnitt der Präsentationen spannender und interessanter wird. Denn die Lösung ist da, aber keiner beachtet sie.
Wie diese aussieht? Nach Meinung von Parteigründer und Rhetoriktrainer Matthias Pöhm muss der gute alte Flipchart die Führung in der Präsentation erobern:
Nicht ganz uneigennützig hat er zufällig auch gerade ein passendes Buch geschrieben, mit dem erklärt wird, wie es am besten geht. Parteimitglieder erhalten „Der Irrtum PowerPoint“ natürlich zum Sonderpreis. Also alles nur eine riesige PR-Kampagne? Jein! Immerhin will Pöhm mit seiner Partei zur viertgrößten der Schweiz aufsteigen und auch an den Parlamentswahlen im Oktober teilnehmen. Und: Die APPP plant angeblich eine Volksabstimmung für ein Verbot von PowerPoint und vergleichbarer Software während Präsentationen. Oder liebe Titanic-Redakteure, steckt ihr etwa dahinter?
(Christian Wolf)