„Der Spiegel“ hat in seiner aktuellen Ausgabe mal wieder das Internet aufs Korn genommen. „Die digitale Unterwelt“ heißt es diesmal, mit dem Zusatz „Das verborgene Netz der Internetverbrecher“. Man hätte auch schreiben können: Es war ja sonst nichts los in der vergangenen Woche, weder in Politik und Gesellschaft, noch im Internet, wo Google nur den schlagkräftigen Konkurrenten eines Social Networks aus der Taufe gehoben hat, dessen Marktwert auf bald 100 Milliarden US-Dollar geschätzt wird.
Dabei geht es auch anders. Denn denke ich an den „Spiegel“ und Internet-Themen, dann fällt mir in erster Linie das Ressort „Netzwelt“ auf Spiegel Online ein. Dort herrscht seit einigen Monaten frischer Wind, und es scheint merklich voran zu gehen: Das Ressort widmet sich immer mehr Netzthemen, verlinkt meistens ordentlich, orientiert sich an der Sprache des Netzes. Für mich unterscheidet sich SpOn-Netzwelt deswegen kaum noch von einem Techblog, und ich nenne es inzwischen immer öfter so. Wäre es ein Techblog, wäre es wohl das meist gelesene und best finanzierte. Ich habe Christian Stöcker um ein E-Mail-Interview gebeten. Darin gibt er Einblick in die Arbeit des inzwischen vierköpfigen Teams, spricht über Fehler und Druck bei der Arbeit und sagt etwas zum Abschied von Frank Patalong als Ressortleiter, dessen Posten Stöcker im Februar 2011 übernahm.
Basic Thinking: Spiegel Online Netzwelt hat mehrere Autoren, berichtet über Social Media und Gadgets, hat – selbst im Vergleich zu anderen Ressorts auf SpOn – einen sehr direkten Schreibstil, den man auch auf vielen gut gemachten Technikblogs findet. Was unterscheidet euch eigentlich noch von einem Blog?
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Christian Stöcker: Das finde ich schwer zu beantworten, weil „Blog“ so eine unscharfe Kategorie ist. Umgekehrt könnte man fragen – was unterscheidet manche Fach-Blogs eigentlich noch von traditionellen journalistischen Angeboten? Wenn ich mir aber so die Szene ansehe und mit nationalen und internationalen Tech-Blogs vergleiche, würde ich sagen: Zum einen die thematische Breite, zum anderen die stärkere Orientierung am Mainstream- (nicht Experten-)Leser, und sicher auch der Aufwand, den wir für einzelne Geschichten (und für das Ansammeln von Hintergrund, der nicht notwendigerweise unmittelbar in Geschichten einfließt) betreiben können, weil wir derzeit ja immerhin ein Viererteam von Vollzeitjournalisten sind.
Bei Bloggern lassen es die Leser schon manchmal fünf gerade sein, was Themenauswahl und Inhalt angeht. Ihr habt diesen Rückzugsraum nicht, weil bei euch „Spiegel“ draufsteht. Wie geht ihr mit dem Druck um, dass ihr stets die schnellsten und besten sein müsst und auch niemals Fehler machen dürft?
Uns ins völlig klar, dass wir bei bestimmen Themen manchmal einfach nicht die ersten sein können – „TechCruch“ weiß früher, was mit US-Startups los ist, „All things D“ weiß mehr über die Interna der großen US-Konzerne, etc. etc. Fehler machen wir natürlich auch, und es ist klar, dass sich das nie ganz vermeiden lassen wird. Unser Anspruch besteht darin, dem Leser das Beste zu liefern, was unter den aktuellen Umständen drin ist – was auch bedeutet, dass wir schnellstens und transparent korrigieren, wenn tatsächlich mal ein Fehler auf der Seite gelandet sein sollte. Am Ende ist es uns wichtig, dass wir uns immer an journalistische Standards halten und gleichzeitig das hohe Tempo der Berichterestattung gerade in diesem Bereich mitgehen können. Wir finden, das klappt meistens ganz gut. Unseren Druck machen wir uns traditionell eher selbst.
Eine Frage, die man als Blogger immer wieder gestellt bekommt, würde ich gerne in angepasster Form auch an dich weitergeben: Könnte euer Ressort angesichts der Leserzahlen und Einnahmen auch autark bestehen?
Das ist eine Frage, die ich tatsächlich nicht beantworten kann. Da fehlen zu viele Variablen, schließlich werden nicht nur vier Netzwelt-Redakteure von Spiegel Online bezahlt, sondern auch Bildredaktion, Producing, Technik, Organisation, Verwaltung etc. Außerdem sind wir als Ressort eben Teil von Spiegel Online, und unsere Leserzahlen lassen sich kaum davon unabhängig betrachten – schließlich kommt ein großer Teil unseres Traffics von der Spiegel-Online-Homepage.
Seitdem du im Februar Ressortleiter bei der Netzwelt geworden bist, hat sich inhaltlich merklich etwas getan. Was hast du aktiv geändert und welche Rolle spielt Ole Reißmann dabei, der zur gleichen Zeit fest in das Netzwelt-Ressort gewechselt ist?
Einerseits macht das Netz sich seine Themen ja bis zu einem gewissen Grad selbst. Da macht sich positiv bemerkbar, dass wir dieses Feld eben schon sehr lang im Auge haben – unsere erste Anonymous-Geschichte etwa ist schon ein paar Jahre her, das erleichtert den Umgang mit solchen Themen natürlich. Woran wir im Augenblick verstärkt arbeiten ist aber beispielsweise, Themen wie Mobilgeräte und Apps noch stärker in den Vordergrund zu rücken – was gelegentlich aber gegenüber den Aktualitäten zurückstehen muss. Das Internet und digitale Technologie durchdringen im Moment so stark den Alltag, sowohl national als auch international, dass sich viele Themen noch mehr aufdrängen als früher. Ole Reißmann ist eine fantastische Ergänzung eines ohnehin fantastischen Teams und hat sich vom ersten Tag an perfekt in das gut geölte Netzwelt-Uhrwerk eingefügt.
Kannst du etwas zum Abschied von Frank Patalong als Ressortleiter Netzwelt sagen?
Ich bin bis heute verbflüfft, dass Frank es so lange durchgehalten hat, diesen Knochenjob zu machen, mehr als zehn Jahre. Es war sein expliziter Wunsch, sich wieder mehr aufs Schreiben konzentrieren zu können und sich thematisch auch mal in anderen Feldern umzutun, und genau das kann er jetzt machen. Diese Autorenposition ist innerhalb von Spiegel Online eigens für ihn geschaffen worden. Jetzt sind alle Ressorts dankbar, wenn Frank Texte für sie schreibt, aber er bleibt der Netzwelt natürlich in besonderer Weise verbunden (und hilft auch ab und zu mal im Ressort aus, wenn wirklich große Not am Mann ist).
Du bist seit Februar 2005 in der SpOn-Netzwelt. Schreibt ihr heute über andere Themen als damals? Und haben sich auch eure Arbeitsabläufe und die Arbeitszeiten seitdem verändert?
Viel hat sich verändert, auch weil sich das Netz und die digitale Welt ja ständig entwickeln. 2005 gab es noch kein iPhone, das mobile Internet war mehr eine Idee als ein Alltagsgegenstand, das dominante Social Network hieß MySpace, der Begriff „App“ sagte niemandem etwas, Twitter existierte noch nicht. Die Netzwelt als Ressort bestand damals aus Frank Patalong als einzigem Vollzeitredakteur und Holger Dambeck und mir, die jeweils zur Hälfte in Netzwelt und Wissenschaft gearbeitet haben. Jetzt sind wir vier Vollzeitredakteure, wir haben Schichteneinteilungen, klarer abgegrenzte Spezialgebiete. Es hat sich eine Menge getan, aber der Kerngedanke des Ressorts, zu erklären, wie digitale Technologie Leben und Gesellschaft verändert, ist geblieben.
(Jürgen Vielmeier)