Ein Staats-Chef wird beigesetzt, ein beispielloses Natur-Ereignis in Island legt den gesamten europäischen Flugraum lahm, Mehrzad Marashi gewinnt das DSDS-Finale. Wer jetzt einen einigermaßen guten Riecher hat oder zumindest die Vorgehensweise der Bild-Zeitung kennt, wird vermutlich drauf kommen, welches dieser drei Ereignisse das Springer-Aushängeschild als Headline der Titelseite auserkoren hat. Genau – es war das „spannendste DSDS-Finale aller Zeiten“, welches uns am Kiosk unseres Vertrauens in die Augen sprang. Interessanterweise – und da nähern wir uns bereits dem Thema dieses Artikels – findet sich dort kein Bild des strahlenden Siegers Mehrzad Marashi. Stattdessen zeigt man den Unterlegenen – Menowin Fröhlich. Ich will hier sicher keine Lanze für Kriminelle brechen oder seine Vergangenheit schönreden, aber wir dürfen wohl getrost davon ausgehen, dass die Schmutzkampagne der Bild-Zeitung Fröhlich den DSDS-Sieg gekostet hat.
Es wird viel geredet von Schwarmintelligenz oder kollektiver Intelligenz, demgegenüber sollten wir aber auch festhalten, dass das Kollektiv durchaus Entscheidungen trifft, zu denen man durch Meinungsmacher getrieben wurde. RTL hat die Zahlen der jeweiligen Motto-Shows veröffentlicht und daran kann man ablesen, dass Menowin in jeder einzelnen Folge klar vor Mehrzad gelegen hat – bis die Bild-Zeitung offiziell dazu aufgerufen hat, dem vorbestraften Talent keine Stimme zu schenken. Dass sich die Zeitung für die gelungene Aktion natürlich auch noch selbst auf die Schulter klopft, überrascht da auch niemanden mehr. Ich kann förmlich spüren, wie sich in euren Köpfen die Fragen manifestieren, wieso es überhaupt eine Rolle spielt, wer da gewonnen hat, wieso das hier überhaupt thematisiert wird und wer denn überhaupt diesen ganzen Casting-Scheiß hören will. Das möchte ich euch gern erklären. Zunächst einmal möchte ich generell die Kritik an den Teilnehmern beziehungsweise den Siegern dieser Casting-Formate hinterfragen.
Feststeht, dass weder DSDS noch irgendeine andere Casting-Show dafür bekannt ist, Unterhaltung mit Tiefgang zu produzieren oder pädagogisch Wertvoll abzusondern oder besonders würdevoll mit Kandidaten und Zuschauern umzugehen. Wer dem unsäglich unwitzigen – dafür ebenso aufdringlichen – Kindergeburtstagsmoderator Marco Schreyl in seinem zehn-minütigen Entscheidungs-Statement gelauscht hat („…den Namen des heutigen Verlierers wird schon morgen niemand mehr kennen.“ oder so ähnlich), kann vielleicht erahnen, in was für ein Loch Menowin Fröhlich da von RTL getreten wird.
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Damit möchte ich klarstellen, dass ich die Kritik an dem Format verstehe und sogar selbst so formulieren würde, ich aber nicht nachvollziehen kann, wieso den Kandidaten seitens der Nicht-Zuschauer eine solche Abneigung entgegen schwappt. Meiner Meinung nach wird eine Stimme nicht besser oder schlechter dadurch, dass man bei einem Casting oder via MySpace entdeckt wird oder sich über Produzenten-Betten nach oben geschlafen hat. Was hingegen eine Bohlen-Komposition aus dem doch eigentlich talentierten Marashi macht, lasse ich hier mal unkommentiert. Die Ware DSDS muss weiter an den Kunden gebracht werden und wenn das nicht mehr über Telefon-Votings und Werbe-Einnahmen während der Show zu generieren ist, muss schnellstmöglich eine CD auf den Markt geworfen werden.
Soziale Netzwerke machen mobil
Das ist der Punkt, an dem das Kollektiv wieder ins Spiel kommt. Speziell die Communities im Internet, die nämlich genau diesen Bohlen-Triumph verhindern möchten. Ich hatte in meinem letzten Artikel zu diesem Thema in einem Update schon kritisiert, dass sich Sony reichlich ungeschickt anstellt, indem man den von der Ringrocker-Community gevoteten Song „Tribute“ von Tenacious D nicht für die deutschen Charts meldet (wobei ich das Procedere sowieso nicht ganz verstehen kann – wieso muss man einen Song anmelden?). Stattdessen hat man nun „Stairway to Heaven“ von den unsterblichen Led Zeppelin auserkoren, was zweifellos ein mehr als großartiger Ersatz ist. Ob man die Aktion aber durch den Songwechsel nicht entscheidend geschwächt hat, sehen wir spätestens nächste Woche, wenn zu den aktuellen Download-Zahlen auch die CD-Verkäufe in die Charts einfließen.
Apropos Download-Zahlen: Bereits jetzt hat Mehrzad Marashi mit „Don’t believe“ den kürzlich erst von Lena Meyer-Landrut aufgestellten Download-Rekord pulverisiert. Da sich aber iTunes und Sony mit Download-Zahlen ziemlich bedeckt halten, kann man das exakte Ergebnis nicht nennen. Was wir jedoch wissen: Mehrzad führt die deutschen Download-Charts an, egal ob man bei Amazon, Musicload oder iTunes schaut:
Dem aufmerksamen Beobachter wird sicher nicht entgangen sein, dass neben dem neuen Bohlen-Song, seinem DSDS-Hitgaranten Mark Medlock sowie mit „Satellite“ einem dritten Casting-Show-Hit auch ein uralter Song in den Spitzenregionen der Charts Einzug gehalten hat: „Boomerang“ von Blümchen aka Jasmin Wagner. Dieser Neueinstieg ist ebenfalls einer Internet-Aktion zu verdanken, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Dieter Bohlen die Spitze zu verwehren.
Mir ist jetzt noch nicht so ganz klar, wieso man unter den Blümchen-Anhängern andere Regeln kommuniziert hat als im Led Zeppelin-Lager, denn eigentlich sollte die Aktion erst ab nächster Woche anlaufen, wenn der DSDS-Song als CD vorliegt. Fakt ist, dass sich in den einschlägigen Gruppen bei meinVZ und Facebook lediglich round about 20.000 Menschen zu Blümchen bekennen, während allein die meinVZ-Gruppe für „Stairway to Heaven“ über 150.000 Mitglieder zählt. Aktuell liegt dieser Klassiker bei Amazon auf Platz 37, aber wenn alle Gruppenmitglieder ernst machen, kann der Song nächste Woche tatsächlich eine ernste Gefahr für Marashi werden.
Ihr habt nun also die Qual der Wahl: Marashi, Blümchen oder Led Zeppelin möchten den Charts-Thron erklimmen – und ich würde mich sogar noch nicht einmal wundern, wenn der lachende Dritte beziehungsweise Vierte Menowin Fröhlich sein wird, der mit Sicherheit noch nicht nächste Woche in die Charts gehen wird, dafür aber zu einem späteren Zeitpunkt mit dem unschätzbaren Vorteil der totalen Bohlen-Freiheit seinen Weg gehen könnte.
Die Macht der Masse: Revolution oder Bedrohung?
Ich kann hier sicher nicht abschließend klären, wie gut oder wie bedrohlich dieses Massenphänomen einzustufen ist. Wenn man die Charts manipulieren kann, ist es eine erwähnenswerte Aktion, aber darüber hinaus wenig bedrohlich. Wenn eine Zeitung, die Objektivität für sich in Anspruch nimmt, so entscheidend in einen Wettbewerb wie DSDS eingreift, ist das da durchaus schon ernstzunehmender in meinen Augen. Zumindest, solange mir niemand garantieren kann, dass man beispielsweise in anderen Fragen (NRW-Landtagswahl) nicht ähnlich vorgeht.
So schön die neue Internetwelt mit seinen Möglichkeiten des Netzwerkens und der Möglichkeit sich zu organisieren auch sein mag – wir dürfen nicht verkennen, dass das Ergebnis nicht immer zwingend das bestmögliche, sondern das meistgewollte sein könnte, was beileibe nicht das Selbe ist, auch nicht in einer Demokratie.
Bevor ich euch mit der Frage alleine lasse, ob ihr nun Blümchen, Mehrzad oder Led Zeppelin einen Euro spendiert, die Aktion generell torpediert oder Euch genau wie ich fragt, ob denn Blümchen wirklich das geringere Übel ist, drücke ich euch eine Handvoll Links aufs Auge, die mit der Aktion zusammenhängen:
– DSDS vs. Led Zeppelin – Facebook-Gruppe
– DSDS vs. Led Zeppelin – meinVZ-Gruppe
– Stairway to Heaven bei Amazon
– Stairway to Heaven bei iTunes
– Stairway to Heaven bei Mediamarkt
– DSDS vs. Blümchen – Facebook-Gruppe
– DSDS vs. Blümchen – meinVZ-Gruppe
Fehlende Blümchen-Download-Links sind weniger auf die Demenz als den Musikgeschmack des Autors zurückzuführen!
(Carsten Drees / Fotos von Fröhlich u. Marashi: Stefan Gregororius – RTL / Bildbearbeitung: Carsten Drees)