Man sollte es nicht für möglich halten, doch es gibt tatsächlich noch kritische Stimmen in der Umfallerpartei SPD. Nachdem der Online-Beirat von den eigenen Genossen gegen die Wand gespielt wurde und die Gegenargumente zu den Netzsperren aus Bequemlichkeit oder Gehorsam dem Koalitionspartner gegenüber einfach weggewischt wurden, meldet sich nun Thorsten Schäfer-Gümbel wenige Stunden vor der Verabschiedung des Gesetzes mit einem offenen Brief an den Parteivorstand zurück. Darin unterstreicht der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Hessen die Bedenken und Forderungen des Beirats.
Sowohl das Verfahren als auch das Ergebnis in den Verhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU überzeugten mich nicht. Sowohl die strafrechtlichen Wirkungen für den Vorrang der Löschung kinderpornographischer Inhalte sind unbestimmt, die Strukturen sind auf eine wirkliche und systematische Löschung nicht ausgelegt. Das muss aber unser Ziel bleiben! Ähnlich unbestimmt ist die Kontrolle des BKA durch das Gesetz. Daher halte ich das Gesetz nicht für verabschiedungsfähig.
Er teile die Ansicht, dass das geplante Gesetz eine reale Missbrauchsgefahr birgt, zur Ausweitung der Zensur einlädt, sowie ineffizient und zudem mit großer Wahrscheinlichkeit grundgesetzwidrig sei. „Deshalb bitte ich nochmals die Argumente zu überprüfen und eine Beschlussfassung des Gesetzes auszusetzen“, so Schäfer-Gümbel.
Ich halte diesen Brief für einen lobenswerten Schritt in die Öffentlichkeit – auch wenn ich nicht verstehen kann, warum dies erst kurz vor dem letzten Glockenschlag passieren musste. Wenn alles so läuft, wie es sich Frau von der Leyen ausgemalt hat, werden heute die Sektkorken im Familienministerium knallen – bei Schäuble und seinen Kollegen wird es wahrscheinlich Champagner sein. Noch auf den letzten Metern wurde das CDU-nahe Allensbach-Institut bemüht, um eine Umfrage zu organisieren, in der sich angeblich 91 Prozent der Deutschen für eine Internetzensur mit unabsehbaren Folgen aussprechen. Wieder einmal wurde die Frage nach folgendem Muster gestellt:
Neue Stellenangebote
Mitarbeiter*in (m/w/d) für Social Media, Öffentlichkeitsarbeit und Städtepartnerschaft (m/w/d) meinestadt.de in Sachsenheim |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH in Delitzsch |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Halloren Schokoladenfabrik AG in Delitzsch |
Die Bundesregierung hat sich kürzlich auf Maßnahmen gegen Kinderpornographie geeinigt, mit denen Internetanbieter verpflichtet werden, den Zugang zu kinderpornographischen Seiten zu blockieren. Wenn ein Internetnutzer auf solche Seiten kommt, wird ein großes Stoppschild angezeigt, und man kommt nicht mehr weiter. Begrüßen Sie diese Maßnahmen, oder halten Sie sie nicht für den geeigneten Weg, um Kinderpornographie zu bekämpfen?
Die Allensbach-Frage hätte jeder mäßig informierte Mensch genau so beantwortet, wie sie beantwortet wurde: Weil das Thema mehr Hintergrundwissen erfordert, als die gängigen Schlagzeilen der Zeitungen. Und genau dieses peinliche HickHack hatten wir schon einmal im Hause Infratest dimap. Warum wurde nicht gefragt:
Die Internet-Community hat sich kürzlich auf Maßnahmen gegen Kinderpornographie geeinigt, in denen die Regierung verpflichtet wird, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um kinderpornographischen Seiten restlos aus dem Netz zu entfernen. Dazu werden den Ermittlungsbehörden erstmals entsprechende Kapazitäten zur Verfügung gestellt, damit sie im Rahmen der geltenden Gesetze (Instrumente wären z.B. Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner) national und international tätig werden können. Begrüßen Sie diese Maßnahmen?
Oder möchten Sie lieber eine Netzsperre mit Stoppschild, die KiPo-Konsumenten in Sekunden umgehen können und die Seitenbetreiber rechtzeitig vor der Strafverfolgung warnt, damit der Server gewechselt werden kann? Dafür müssten sie aber auch in Kauf nehmen, dass der Grundstein für die Ausweitung zensierender Schritte (Glücksspiel, MP3-Downloads, „Gewaltseiten“ etc.) im Internet gelegt wird.
Ich sehe die farbigen Balken der Auswertung vor mir und sie sehen so ganz anders, so diametral anders aus, als in der hübschen Allensbach-Präsentationsmappe.
Von der CDU kann ich nicht enttäuscht sein, weil ich nie etwas von dieser Partei erwartet oder mir erhofft habe. Von der SPD schon. Die Sozialdemokraten haben beim Zusammenschluss der Großen Koalition völlig kraftlos ihr Rückgrat abgegeben. Wie man so viele Stimmen aus den eigenen Reihen mit einem Wink zum Schweigen bringen kann, ist mir unverständlich. Wie die Meinungen der Medien, die nun größtenteils geschlossen hinter den Kritikern stehen, stur missachtet werden, finde ich bestürzend. Doch das wirkliche Armutszeugnis für eine ehemalige Volkspartei sehe ich darin, dass 134.014 Mitzeichner der größten Petition Deutschlands – Menschen, die sich vielleicht das erste Mal in ihrem Leben aktiv der Demokratie zugewandt haben – nicht gehört wurden. Dabei handelt es sich mitnichten um eine homogene Kiddie-Truppe aus „internetaffinen“ Spinnern, wie sie die Koalitionäre gerne hinstellen, sondern um Menschen aller Generationen, Mütter, Familienväter, Studenten, Arbeiter – die nach dieser Reaktion erst einmal die Schnauze voll von der Politik haben. Zur Bundestagswahl werden sie und alle anderen gebeten, ein Kreuzchen zu machen, und wenn dieses dann links und rechts des bürgerlichen Parteienspektrums landet, braucht sich die „Mitte“ nicht zu wundern. Wahrscheinlich braucht sie sich nicht einmal Sorgen machen: Denn wenn die Extremisten gewinnen, kann sie ja immer noch deren Seiten nonchalant sperren lassen, oder?
Update, 20.15 Uhr
Der Gesetzentwurf wurde heute vom Bundestag mit 389 zu 128 Stimmen angenommen. Es gab 18 Enthaltungen.
(André Vatter)