Second Life ist einerseits das einst hochgebujelte und andererseits heute das seitens der Medien totgeschwiegene Baby. Ausgelutscht und abgebrannt? Die Medien erschaffen keine Welten, sie gaukeln manchmal nur welche vor. Was aber wirklich da draußen in und um Second Life passiert, sollte man lieber die erzählen lassen, die sich damit auch beschäftigen. Ich habe also Christian Scholz (der in D wohl der bekannteste SL-Experte ist) gefragt, ob er was zu SL sagen möchte. Um einen tieferen Einblick in die aktuellen Entwicklungen zu gewinnen. Ja, SL lebt, mehr denn je. Abseits des Hypes. Was diejenigen kaum wundern wird, die den Möglichkeiten einer dreidimensionalen Welt aus Bits and Bytes aufgeschlossen sind. Für mich persönlich ist es eh genial, auf die Erschaffung einer gänzlich neuen Welt blicken zu dürfen, wenn ich das lese, was Christian da skizziert. So kann ich wenigstens meinen Enkeln sagen „ja, so war das damals, als alles begann“:)
here we go:
1. Christian, stell Dich kurz vor, was machst Du, wer bist Du und wie kamst Du letztlich zu Second Life?
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Gerne. Ich bin seit ca. 10 Jahren Python-Programmierer, seit 9 Jahren Zope- und seit ca. 6 Jahren Plone-Entwickler. Seit einiger Zeit kommen auch noch die Webframeworks Django und repoze.bfg hinzu. Bei Plone mit ich ausserdem auch in der Core-Programmierung aktiv und auf vielen Programmiersprints anzutreffen.
Ich bin weiterhin Mitglied der Steering Group des DataPortability Projects und Mitgründer der Firma COM.lounge, wobei wir uns mit den oben genannten Technologien beschäftigen (plus Second Life). Dann blogge, videoblogge und podcaste ich ja auch noch unter mrtopf.de/blog und comlounge.tv
Zu Second Life kam ich im Endeffekt durch Rocketboom. Bei denen gab es im Oktober 2005 einmal einen Beitrag zu Second Life wo (damals noch) Amanda Congdon den Second Life resident Maxx Monde interviewte (den ich dann später auf der SLCC 2007 auch persönlich traf). Das hörte sich recht interessant an, allerdings hat es dann noch bis Februar 2006 gedauert, bevor ich mir auch einen Account zulegte.
Von da an gab es erstmal nichts anderes mehr, da man sich da kreativerweise recht gut austoben kann und zudem noch recht viele coole Leute kennenlernt. Es war auch alles so ein bisschen Pioneergeist damals, denn man konnte noch viele Dinge tun und ausprobieren, die noch niemand zuvor so richtig gemacht hatte. Es fühlte sich für mich so ein bisschen wie die frühen Web-Tage an.
Links:
Python: http://python.org
Zope: http://zope.org
Plone: http://plone.org
Django: http://djangoproject.com
repoze.bfg: http://static.repoze.org/bfgdocs/
COM.lounge: http://comlounge.net
Rocketboom: http://www.rocketboom.com/rb_05_oct_20/
Maxx Monde: http://www.flickr.com/photos/mrtopf/1352063746/
2. Wie nutzt Du SL, rein privat oder auch kommerziell, ingame und out of the game?
Wir bieten mit COM.lounge auch Second Life-Consulting an, aber wie Du Dir vorstellen kannst, ist die Businesslage da im Moment nicht rosig. Wir bieten es aber natürlich nach wie vor an, wobei wir aber nicht so ein Fan von Lösungen sind, wo man einfach was in SL hinstellt und dann vergisst. Eine Firma, die dort eine Präsenz aufmachen will, sollte schon verstanden haben was Second Life ist und auch persönlich dort aktiv sein. Gute Beispiele dafür sind Sun, Cisco, IBM, Amazon und andere.
Ich persönlich habe über die Zeit recht viel gebaut und gescripted (das meiste wohl privat) und im Moment nutze ich es hauptsächlich für Meetings rund um das Open Grid Protocol.
(statt ingame sagen wir übrigens inworld, da viele Residents allergisch darauf reagieren, wenn man das ein Spiel nennt. Ist es im Prinzip ja auch nicht, da es keine Aufgabe gibt. Es ist einfach nur eine Plattform, die man wie auch immer füllen kann).
Ausserhalb der Welt habe ich SL-bezogen auch einige Events besucht, so z.B. die Second Life Community Convention letztes Jahr (wo ich z.B. auch den Amazon Web Service Evangelist Jeff Barr getroffen habe), eine Einladung zu Linden Lab zu einen SL Views treffen (so eine Art Focus Group), die Metaverse08 in Karlsruhe und zwei SL-Meetings in Berlin.
Zudem gab es in Köln mal einen Stammtisch auf dem ich ab und an war.
3. Was sagst Du zum dem gigantischen PR Hype um SL, der nun komplett abgeebt ist? Hat das geschadet? Geholfen? Schadet oder hilft das Schweigen jetzt?
Also geschadet hat es wahrscheinlich dem Ruf von Second Life, da die meisten Firmen dort nur Dinge getan haben, die für eine Pressemeldung gut waren, aber das Potential von Second Life nicht ausgeschöpft haben.
Das ist insofern problematisch, da eben danach die Welle kam, wo die Presse dann festgestellt hat, dass dort überall nichts los ist.
Das ist aber kein Wunder, da man das Medium nicht verstanden hat und war den SL-Residents eigentlich schon vorher klar.
Es gab natürlich ein paar Ausnahmen, wie Jeff Barr von Amazon, IBM, Sun und andere.
Inzwischen sind auch Firmen Orange, Nokia, Cisco und andere mit sinnvolleren Aktionen in Second Life präsent, so werden z.B. regelmässig Events durchgeführt oder man kann Mitarbeiter der firmen auch in SL antreffen. Für Firmen wie Sun oder Cisco dient SL zudem auch als Plattform, wo sich die internationale Belegschaft mal treffen kann, wo Meetings mit Kunden abgehalten oder Schulungen durchgeführt werden.
Bzgl. Cisco kann man dazu noch etwas in meinem Interview mit Jeanette Gibson nachlesen.
Das Schweigen selbst hilft natürlich nicht direkt, aber man sieht, dass sich inzwischen Leute auch ernsthaft damit auseinandersetzen und nicht direkt als Spielerei abtun. So z.B. die Uni Hamburg, die dort virtuelle Vorlesungen hält (etwas, was auch die Harvard Law School schon in 2006 gemacht hat und das NMC eigentlich dauernd macht, inklusive rein virtueller Konferenzen) oder aber die Staatsbibliothek Bayerns.
Links:
Uni Hamburg
Staatsbibliothek Bayern
Harvard in SL
4. Große Frage: Womit beschäftigt sich die Second Life Developer-Gemeinde jetzt? Woran arbeitet man? Wie geht es weiter? Was sind die nächsten Steps, was die großen in Zukunft?
Das grösste Thema ist natürlich im Moment das Open Grid Protocol (OGP). Das Ziel dieses Projekts ist es, so eine Art HTTP für virtuelle Welten zu schaffen, also ein Protokoll welches die Interoperabilität virtueller Welten gewährleistet.
Das Ziel ist also, die ganzen Walled Gardens rund um virtuelle Welten zu beseitigen und im Endeffekt ein 3D-Internet zu ermöglichen. Es soll möglich sein, mit seinem Avatar von Welt zu Welt zu springen, ohne wirklich zu merken, dass man sich gerade von einem Server zum anderen bewegt hat. Es soll also kein neuer Login oder gar eine Registrierung notwendig sein. Im Prinzip ist es also genau das, wofür wir auch im DataPortability Project kämpfen und vielleicht ist OGP sogar ein Teil der Lösung.
Ich persönlich versuche bei diesem Projekt auch immer Web und virtuelle Welten wo möglich zu vereinen, es also zu vermeiden, dass wir Protokolle, die für das Web schon existieren (z.B. OpenID, OAuth, XRDS-Simple und andere) auch für OGP zu nutzen. Zudem ist eine virtuelle Welt ja auch nichts anderes als ein soziales Netzwerk, nur eben mit 3D-Komponente. Man hat auch dort ein Profil, Freund, Gruppen usw.
Zudem ist ein Ziel von OGP, ein bestehendes soziales Netzwerk recht schnell durch die Implementierung der entsprechenden Web Services zu einem Teil der grossen virtuellen Welt zu machen. Hierzu werde ich wohl demnächst noch einmal etwas posten.
OGP ist allerdings noch am Anfang: Es gibt jetzt den Draft 3, der hauptsächlich Login und Teleport umfasst und alle Grundkonzepte erläutert. Zudem gibt es das Open Grid Public Beta-Programm, wo man das Protokoll schon testen kann. Dies besteht aus der Open Source-Server-Implementierung OpenSim und der AgentDomain-Komponente von Linden Lab, die leider im Moment closed source ist (aber dem Protokoll folgt).
Ich bin daher dabei eine Open Source-Variante der AgentDomain zu implementieren, was man auf http://syntronik.de schon in Grundzügen sehen kann.
Parallel zu dem Protokoll arbeite ich auch zusammen mit Linden Lab an einer Python-basierten Implementierung genannt pyogp.
Die nächsten Steps beim OGP sind wahrscheinlich das IM-System (und wie man bestehende IM-Systeme einbinden kann) und der Objekt-Transfer. Gerade letzterer umfasst dabei viele Probleme bzgl. Intelellectual Property Rights und andere Dinge, wobei wir aber (das sei ausdrücklich erwähnt) kein DRM planen.
Der grosse Schritt an sich ist natürlich die Fertigstellung von OGP Version 1 und die Migration von Second Life selbst hin zu diesem Protokoll. Aber schon auf dem Weg wird es sicherlich viele Projekte rund um OGP und OpenSim geben, die die neuen Möglichkeiten ausloten. Was danach kommt, kann man sich wohl nur schwer vorstellen, denn wer hat nach der Erfindung des Web wohl an Web2.0 und all die Services gedacht?
Links:
Open Grid Protocol
OpenSim
Open Grid Public Beta
pyogp
5. Denkst Du, dass SL tatsächlich ein früher Vorläufer des künftigen Webs in 3D-Form werden kann? Oder wird es gar mehr zum User kommen („augmented reality“)?
Ich würde sagen, dass SL zumindest mit OGP die größten Chancen hat, den Standard zu definieren. Das liegt einfach an der Größe der SL-Community. Viele Leute kennen die Plattform, viel Wissen ist in die Lösung vieler Probleme geflossen, es gibt Leute, die wissen, wie man so etwas mehr oder weniger stabil betreibt. Ausserdem gibt es natürlich die Entwicklergemeinde um SL selbst und um OpenSim.
Selbst wenn Linden Lab dieses Projekt nicht initiiert hätte, wäre wahrscheinlich OpenSim diese Rolle zuteil geworden, denn die Community dort ist sehr aktiv und die OpenSim-Entwicklung schreitet flott voran. Ausserdem setzt IBM auf OpenSim (und nun auf OGP/OpenSim).
Second Life hat also in meinen Augen die beste Chance, per OGP zum Standard zu werden. Das heisst dann natürlich nicht mehr Second Life im Ganzen, sondern nur noch das von Linden Lab betriebene Gebiet wird so heissen.
Bzgl. augmented Reality muss man ein bisschen abwarten, denke ich mal, das es auch oftmals eine Hardware-Frage ist. Wenn aber mobile Geräte leistungsstärker und flexibler werden sehe ich da durchaus auch die Möglichkeit, dass ein Protokoll wie OGP oder ein Teil davon eingesetzt werden kann (OGP ist auch mehr eine Sammlung von Protokollen für die verschiedenen Funktionen einer virtuellen Welt).
Interessant wird es auch werden, wenn es mal erschwinglichhe 3D-Monitor oder neuronale Headsets gibt (das von Emotiv soll ja Ende des Jahres in den USA erscheinen). So in Richtung Vollkörperanzug wie man es sich damals vorgestellt hat, wird es aber ja anscheinend nicht gehen 😉
Links:
Emotiv
6. Gibt es neben SL weitere, nennenswerte Initiativen?
In Bereichen die zu einem Standard führen könnten eher weniger, die meisten Firmen setzen leider immer noch auf walled gardens.
Aber im Open Source-Bereich gibt es zumindest noch Croquet und Ogoglio.
http://www.opencroquet.org/index.php/Main_Page
http://ogoglio.com/
http://www.youtube.com/watch?v=5PW92CkwNK8
Mit denen habe ich mich aber bislang nicht weiter beschäftigt.
Bzgl. Firmenkollaboration gibt es auch noch Sun’s Project Wonderland. Hier ein Interview von der letzten Web2.0 Expo.
Ansonsten wäre es wünschenswert, wenn auch andere virtuelle Welten zumindest Web Services bereitstellen, mit denen man z.B. Profile und dergleichen abgleich kann. Dies wäre ja wieder ein Thema für das DataPortability Project.
7. Hast Du umgekehrt an uns Fragen?
Wer ist „uns“? 🙂 An Deutschland habe ich eine Frage: Wo sind die deutschen Mitstreiter beim OGP? Das ist ein sehr spannendes Projekt und man hat nicht jeden Tag die Möglichkeit, bei etwas mitzumachen, was vielleicht mal das neue Internet sein könnte. Zudem gibt es da sehr interessante Herausfoderungen zu meistern, in den Bereichen Policy, Spezifikation und Implementierung.
Man muss ja nicht alles innovative immer nur Silicon Valley überlassen 😉 Mitmach-Link (alternativ)